Vorgeschichte
Der Bürgerentscheid von 2017 [1] sah vor, dass der mit Steinkohle betriebene
Block 2 des Heizkraftwerks Nord in Unterföhring zum Ende 2022 stillgelegt werden sollte. Die Bundesnetzagentur,
der solche Absichten angezeigt werden müssen, erklärte ihn jedoch für "systemrelevant": Bei sogenannten
"Starkwind-Starklast"-Situationen wird in Norddeutschland Windstrom erzeugt, der nach Süddeutschland und
Österreich verkauft wird – und zwar in solchen Mengen (28,2 GW) [2], dass das
Stromnetz dieses Handelsvolumen nur bei Zwischenschaltung des HKW Nord (und anderer Kraftwerke) bewältigen
kann. [3]
Deshalb wurde die Stromerzeugung zunächst auf etwa 1100 GWh gedrosselt und ein TÜV-Gutachten
[4] in Auftrag gegeben, das nach weitergehenden Lösungen suchen sollte.
Als Resultat beschloss der Stadtrat im November 2019 [5] die sogenannte
"reduzierte Fahrweise" für den Steinkohleblock, eine
Begrenzung der fossilen Erzeugungskapazität auf den Energie-Inhalt von
maximal 350.000 t Steinkohle jährlich: 60%-Lastbetrieb während der Heizperiode, 12 Wochen Stillstandszeit im
Sommer, 24%-Lastbetrieb außerhalb der Heizperiode. Das TÜV-Gutachten hatte betont (S. 4), dass bei dieser
Kapazitätsbegrenzung die Versorgungssicherheit Münchens mit Strom und Wärme grundsätzlich gewährleistet bleibt.
Nur für extreme Notfall-Situationen war ein Betrieb mit abweichender Last in Betracht gezogen worden (S. 13/14);
dabei wurden auch Besonderheiten der Kohleverfeuerung berücksichtigt, die bei Umstellung auf Gas hinfällig würden.
Der Stadtratsbeschluss unterstreicht diese Intention einer grundsätzlichen Reduktion fossiler Energienutzung,
indem er "eine Übertragung von Kohlemengen auf ein folgendes Kalenderjahr" verbietet.
Bei der Umsetzung im Jahre 2020 führte das zu einer Stromerzeugung von knapp 600 GWh [6];
die Gesamtemissionen (für Wärme- und Stromerzeugung) des Blocks lagen damit bei 845.200 t CO2.
[7] Parallel dazu entwickelten die SWM den Plan, am Standort Nord ein neues
Gaskraftwerk zu errichten ("GuD3"). [8] Dies erwies sich als aussichtslos, weil die
Gemeinde Unterföhring, bei der das Baurecht liegt, am 8. Oktober 2020 mit 24:0 Stimmen beschlossen hatte,
"die Errichtung von fossilen Energieerzeugungsanlagen mit einer langjährigen Lebensdauer auszuschließen."
[9]
Im Herbst 2020 trat dann beim Wiederanfahren des Blocks 2 in Unterföhring und Umgebung ein beträchtlicher
Niederschlag an weißer Asche auf - sie war im Niederlastbetrieb nicht ausgeblasen worden. Bei Beratschlagung
der Situation "entdeckten" die SWM die zuvor stets energisch verneinte Möglichkeit, den Block mit Erdgas statt
mit Kohle zu betreiben. [10] Dies wurde von Grünen und SPD aufgegriffen, die Anfang Oktober
2021 von den SWM eine Überprüfung der Umstellungsmöglichkeiten erbaten. Das Referat für Klima- und Umweltschutz
(RKU) sieht eine solche Umrüstung im Rahmen der geltenden Genehmigung als "vorteilhaft" und regt eine
Klimaschutzprüfung an; die ursprünglich von den SWM beabsichtigte GuD3 sei für den Fernwärme-Regelbetrieb nicht
notwendig. Das steht im Einklang mit der oben wiedergegebenen bereits beschlossenen Reduktion der fossilen
Kapazitäten im Regelbetrieb. Die SWM haben auf die Bitte zur Überprüfung geantwortet:
"(…) Trotz fehlender Betriebserfahrung, technischen Restriktionen und den daraus resultierenden anspruchsvollen Herausforderungen werden die SWM ein Alternativkonzept zum Betrieb des Block 2 mit Erdgas erarbeiten. Die SWM beabsichtigen, in der laufenden Heizperiode mit externer Unterstützung in einem laufenden Prozess die Anlage bei Erdgasfeuerung zu überprüfen und vielfältige Messungen durchzuführen. (...) [Hieraus sollen] eventuelle Umbauten für einen möglichst dauerhaften Erdgasbetrieb ausschließlich im Rahmen der bestehenden Genehmigung des Block 2 abgeleitet werden." [11]
Dabei haben die SWM eine Rückkehr zu "etwa 80 Prozent der bisherigen Vollleistung" [10] ins Auge gefasst, also eine Aufhebung der bisherigen Begrenzung der Kapazität im fossilen Regelbetrieb.
Die EU-Taxonomie...
… ist für die Umrüstung des HKW von Kohle auf Erdgas an und für sich irrelevant, weil nicht beabsichtigt ist,
diese Umrüstung über den nachhaltigen Finanzmarkt zu finanzieren. Sie verdient gleichwohl Beachtung, weil in ihr
die aktuellen Vorstellungen der EU zur Nachhaltigkeit kodifiziert werden; weil sie sich
möglicherweise steuerlich und bei der CO2-Bepreisung bemerkbar machen wird; und weil die Stadt selbst mit
einem "Green Bond" am nachhaltigen Finanzmarkt in Erscheinung treten will.
Der EU-Taxonomie liegt die Auffassung zugrunde, dass die Nutzung von fossilem Gas eigentlich
nicht nachhaltig ist, aber dass man sie gewissermaßen als "vorübergehend nachhaltig" einstufen
könne, wenn gewisse Mindestanforderungen erfüllt sind. Es geht also um so etwas wie "Greenwashing mit Gütesiegel".
Worin bestehen diese Mindestanforderungen ? Für die Modernisierung von Kraft-Wärme-Kopplungs-Kraftwerken wie dem
HKW Nord 2 sind es zwei Hauptpunkte:
Die Verbrennung muss effizient sein – konkret: Es sollen weniger als 270 g CO2
pro abgegebener kWh Energie freigesetzt werden. [12] Der Verband kommunaler
Unternehmen (VKU), dem auch die SWM angehören, lehnt das als "nicht praktikabel" ab und schlägt 330 g CO2/kWh vor. [13]
(Vermutlich hat das Expertengremium der EU, das diesen schärferen Grenzwert verlangt, dabei an Dinge wie:
Beimischung von Biogas, zusätzliche Verfeuerung von Holzhackschnitzeln und ähnliches gedacht.)
Die bisherigen fossilen Kapazitäten dürfen nicht erhöht werden. [14]
Das ist ein zentraler Grundpfeiler jeder erfolgreichen Klimaschutzpolitik: Effizienzsteigerungen der Verbrennung
führen nur dann zur Reduktion von Emissionen, wenn sie nicht durch Wachstum zunichte gemacht werden. Paradebeispiel
für diese Binsenweisheit sind die Autos: Trotz beachtlicher Verbesserungen der Verbrennungseffizienz der Motoren
in den letzten zwei Jahrzehnten hat es durch die Zunahme von Gewicht, Anzahl, Motor- und Fahrleistung der Autos
keinen Rückgang der CO2-Emissionen des Verkehrssektors gegeben. So sehr man die EU-Taxonomie kritisieren kann – diesen
zentralen Grundsatz hat sie unmissverständlich ausgesprochen.
Durch den Stadtratsbeschluss zur reduzierten Fahrweise des HKW Nord 2 ist die fossil erzeugte Stromkapazität in
Reaktion auf den Bürgerentscheid auf etwa 600 GWh/Jahr begrenzt worden. Nach den Plänen der SWM
für die Umstellung auf Erdgas würde die Kapazität wieder auf die früheren 1100 bis 1600 GWh erhöht.
Damit würden die CO2-Emissionen wieder beträchtlich über denen der reduzierten Fahrweise in der Steinkohlezeit
liegen. SWM und Stadtrat schicken sich an, den Kardinalfehler zu begehen,
den selbst die EU-Taxonomie als nicht nachhaltig brandmarkt: Der Effizienzgewinn
der Umstellung von Steinkohle auf Erdgas würde durch die Rückkehr zu den alten Kapazitäten zunichte gemacht -
die reduzierte Fahrweise darf auch nach Umstellung auf Erdgas keineswegs aufgegeben werden !
"Zahlen, bitte!"
Die SWM teilen in ihrer Umwelterklärung die jährlichen CO2-Emissionen der Münchner Kraftwerke mit, schlüsseln sie
dort aber zeitlich nicht näher auf und geben auch Erzeugungsdaten für Strom und Wärme nur summarisch an. [15]
Genauere Daten zum HKW Nord 2 enthält jedoch die Antwort der SWM auf eine Anfrage von DIE LINKE/Die PARTEI
[7]. Fügt man die monatliche Stromerzeugung des HKW Nord 2 hinzu, die sich bei der
Transparenzplattform der Bundesnetzagentur abrufen lässt [6], so ergibt sich
folgendes Bild:
Der nominelle Anteil der Nettostromerzeugungsleistung (333 MW) an der Gesamtfeuerleistung (870 MW) beträgt 38,27 %
("Stromkennzahl") [4], S. 6. Aufgrund der sehr deutlichen Korrelation zwischen
erzeugtem Strom und eingesetzter Kohle ist für orientierende Betrachtungen die Annahme ausreichend, dass die
Stromkennzahl über den gesamten Leistungsbereich konstant ist. Man erhält also die jeweilige Gesamterzeugung
(Wärme und Strom), indem man die Stromerzeugung durch 0,3827 teilt. Bei 597,616 GWh Jahresstrom (2020) sind das
1572,674 GWh. Aus den Gesamt-CO2-Emissionen (845.200 t) ergibt sich dann für die reduzierte Fahrweise von 2020
ein mittlerer Emissionsfaktor von 537,428 g CO2 / kWh.
Damit können die Emissionen bei den folgenden Erdgas-Szenarios durchgerechnet und mit der reduzierten
Steinkohle-Fahrweise verglichen werden:
Stromerzeugung ungefähr wie 2016/17 (1560/1410 GWh), 2018/19 (1100 GWh), 2020 (600 GWh);
Emissionsfaktor Erdgas wie vom VKU als "praktikabel" angesehen (330 g CO2/kWh) oder
wie von der EU-Taxonomie gefordert (270 g CO2 / kWh).
Das ergibt folgendes Bild:
Nur bei Beibehaltung der Kapazitätsgrenze der reduzierten Fahrweise tritt eine Minderung der
Emissionen gegenüber der Steinkohlezeit ein.
Bei der schärferen Vorgabe von 270 g/kWh der EU-Taxonomie beträgt diese Minderung rund 50 % - das wäre also
ein Schritt hin zu tatsächlichem Klimaschutz.
Forderungen
Bei Genehmigungsbedarf der Umrüstung von Steinkohle auf Erdgas liegt die Entscheidung beim Gemeinderat von
Unterföhring. Besteht kein Genehmigungsbedarf, sollte der Stadtrat folgendes beschließen:
1. Im Regelbetrieb wird die reduzierte Fahrweise beibehalten.
2. Abweichungen sind nur zulässig bei Ausfall des Kraftwerks Süd. Die Mitglieder des
Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft werden darüber jeweils umgehend unterrichtet.
3. Um die Zielgröße von 270 g fossilem CO2 pro kWh zu erzielen, werden Maßnahmen wie
die Beimischung von Biogas, die Zufeuerung von Hackschnitzeln u.ä. untersucht.
4. Der Betrieb wird bis 2028 befristet. Detaillierte Konzepte für die weitere, nicht-fossile
Fernwärme-Versorgung werden von den SWM bis 2025 vorgelegt.
5. Die SWM richten an prominentem Platz auf ihrer Website eine Transparenz-Plattform ein,
auf der tagesaktuell und kumulativ Strom- und Wärme-Erzeugung, Gasverbrauch und
CO2-Emissionen der Münchner Kraftwerke sowie die Scope-3-Emissionen der Öl- und Gasförderung von Spirit Energy
veröffentlicht werden.
Quellen
[1] Bürgerentscheid
[2]
Bundesnetzagentur, Reservekraftwerksbedarf 2021, S. 71
[3]
Bundesnetzagentur, Systemrelevanz-Bescheid vom 28.10.2019
[4] TÜV-Gutachten
[5] Stadtratsbeschluss "reduzierte Fahrweise"
[6] Die hier verwendeten Erzeugungsdaten stammen von der
Transparenzplattform der Bundesnetzagentur, wo sie unter den Kraftwerksnamen "Heizkraftwerk München
Süd GuD1", "Heizkraftwerk München Süd GuD2" und "München Nord 2" abgefragt werden können.
[7] Antwort auf Stadtrats-Anfrage
Nr. 20-26 / F 00325, S. 3
[8] SWM-Konzeptpapier GuD3, S. 8 des Dokuments
[9] Gemeinderatsprotokoll, S. 8
[10]
Süddeutsche Zeitung, 5.10.2021 - "Ausstieg aus der Steinkohle: Es begann mit einem Ascheregen"
[11] Beschluss des Ausschusses für Arbeit und Wirtschaft vom 7.12.2021,
S.4 des Dokuments und (RKU:) S.11
[12]
Annex I der EU-Taxonomie, 4.30.1.(b)(ii).
Weitere
Dokumente zur Taxonomie
[13]
Stellungnahme VKU, S. 4
[14] Annex I der EU-Taxonomie,
4.30.1.(b)(v). Dieser Grundsatz verbirgt sich also hinter der kryptischen Referenz "Annex I 4.30.1.(b)(v)".
[15]
Umwelterklärung 2020 der SWM, S. 36
Diagramme zum Betrieb des HKW Nord 2
Testbetrieb
Vermutlich haben die SWM in der Sommerpause 2021 bereits Umbauten vorgenommen, um mit dem Einsatz von Erdgas
experimentieren zu können. Jedenfalls wird das Kraftwerk nach der Sommerpause an den Wochenenden jeweils mit
deutlich niedrigerer Last gefahren - das deutet auf systematischen Testbetrieb hin. Zusätzlich wurde 2022 in
den ersten fünf Wochen an 122 der 600 Stunden, die außerhalb der Wochenenden liegen, mit einer Leistung von weniger
als 96 MW gefahren; diese Stunden liegen jeweils am späten Abend oder in der Nacht. (Im Vergleichszeitraum 2021
lag die stündliche Leistung jederzeit über 105 MW.) Auch das deutet auf nächtlichen Testbetrieb oder Umbauten hin.
Reduzierte Fahrweise 2020